23-06-2009

Claire le Bris-Cep: "Der Sommer, als ich 13 war"

Meine Eltern hatten ein Ferienhaus in der Sologne in Zentralfrankreich gemietet. Mein Bruder war gerade von einem Aufenthalt im Geburtsland meines Vaters zurückgekehrt. Einem Kundschafter gleich hatte er als erster aus unserer Familie die Bekanntschaft mit unseren fünf Onkeln und Tanten und 15 Cousinen und Cousins gemacht. Wir überlegten, im Jahr darauf alle vier noch einmal gemeinsam dort hinzufahren.

Bevor er das Land verlassen musste, war mein Vater in der Tschechoslowakei ein bekannter Schriftsteller. Er war nicht wirklich politisch engagiert, aber seine stark vom katholischen Glauben geprägte Literatur und seine Kontakte zu Intellektuellen aus dem Weste gefielen dem damaligen Regime gar nicht. Um dem Gefängnis zu entgehen, war er gezwungen zu flüchten: Er überquerte illegal die Grenze, indem er unter dem Stacheldraht hindurchkroch. Seine Mutter starb in Mähren, ohne dass er sie wiedergesehen hätte. Und dann, nach 20 Jahren im Exil, eine Hoffnung: Die Situation dort drüben begann sich langsam zu verändern. Mein Vater selbst wollte noch nicht daran glauben, aber wir alle um ihn herum haben uns schon vorgestellt, wie er eines Tages nach Myslechovice (Michlowitz) zurückkehren und seine Brüder und Schwestern umarmen wird.

An diesem Tag bin ich wie jeden Morgen aufgestanden, um mit meinen Eltern zu frühstücken. Aber nichts war so wie sonst. Es war etwas passiert, ich wusste noch nicht was, aber meine Mutter gab sich kaum Mühe, ihre verschwollenen Augen und ihr feuchtes Taschentuch zu verbergen. Mein Vater saß da, in sich gekehrt, den Kopf nach vorne gebeugt, als ob er sich von uns abschotten wollte. Das Überraschendste aber war, dass so früh am Morgen schon das Radio lief. Ich verstand nichts, ich wollte auch nichts verstehen von den Worten, die aus dem Lautsprecher kamen: Sie ergriffen Besitz von diesem Raum, von unserem ganzen Leben. Sie sprachen von Panzern, von russischen Soldaten, vom Einmarsch. Sie beschrieben die Massen in den Straßen Prags, die Barrikaden und die Toten.

Ich begann langsam zu begreifen, dass mein Vater sein Heimatland nie wieder sehen würde. Es war der 21. August 1968.